streifzüge durch teheran
erschienen in: Stadtbauwelt Heft Nr. 167 "Teheran", September 2005
von Abbas Shirazi und Christina Thum
Vorwort
Der Titel über dem sorgfältig recherchierten und für den Uneingeweihten gar nicht so leicht zu verfolgenden
Text ist folgendermaßen zu übersetzen: Streifzüge durch Teheran sind ein schwieriges Unterfangen, sie erfordern mancherlei Vorwissen und sind kein reines Vergnügen für den uneingeweihten Flaneur. Zu Fuß sind sie kaum zu bewältigen. Nimmt der Fremde aber ein Taxi, steht er wieder und wieder im Stau. Ein grobes Orientierungsraster für den Neuankömmling bieten die beiden orthogonalen Achsen der Stadt: die Valy-Asr Allee, die von Süden nach Norden, und die Azadi - Enquelab Straße, die von Westen nach Osten führen. Die beiden Autoren, die an dieser Stadtbauwelt entscheidenden Anteil haben, gehen die beiden Achsen entlang, und weil sie viel Wissen über Teheran gesammelt haben, wird aus ihrer Beschreibung eine verlässliche Stadtführung.
Streifzüge durch Teheran
Das Flugzeug der Iran Air, das in Frankfurt am Main startet, ist bereits iranisches Hoheitsgebiet, die weiblichen Passagiere sind eigentlich schon zum Tragen "islamischer Kleidung" verpflichtet, doch die meisten Damen legen erst kurz vor der Landung Kopftuch und lange Jacke an. Was er erwartet den Besucher in Teheran? Eine orientalische Stadt oder eine Stadt der Moderne? Ein Moloch, ein Reich des Bösen? Wird man den Besucher freundlich empfang, oder wird er auf Ablehnung stoßen? In Teheran, der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, leben acht Millionen Menschen, in ihrem Großraum etwa 11,5 Millionen. Die Stadt liegt im Norden des Iran am Fuße des Alborz- Gebirges, das oft bis in den Frühling hinein mit Schnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Berg im Land,
dem Damavand mit einer Höhe von 5671 Metern. Von einem der letzten Ausläufer der Stadt im Norden auf etwa 1800 Meter Höhe hat man einen guten Blick "hinunter" - denn Teheran weist nach Süden ein Höhengefälle von ca. 700 Metern auf. Diese Topograf hat Auswirkung auf die Luftqualität und in der Folge auf die Sozialstruktur der Bevölkerung und die Nutzungsverteilung. Im höher gelegenen Norden sind die besten Wohngegenden, viele Botschaften und Regierungseinrichtungen zu finden. Nur an wenigen Tagen hebt sich die Smog-Glocke, denn es gibt kaum eine Tageszeit, zu der man in Teheran nicht im Stau steht. Bis heute sind nur zwei Metrolinien in Betrieb. Und auch die Industrien dieses Wirtschafszentrums
tragen erheblich zur Luftverschmutzung bei.
Teheran ist das politische und zugleich wirtschaftliche Zentrum des Landes und zieht wie ein "schwarzes Loch" immer noch die Menschen an. Nach der Islamischen Revolution von 1979 explodierten die Geburtenzahlen. Die islamische Gesellschaft ist auf den ersten Blick stark religiös geprägt, doch neben der religiösen Welt existiert insbesondere auch in Teheran eine säkulare Parallelgesellschaf.
Von Süden nach Norden
Ein Taxifahrer würde nach der Aufforderung "Ins Zentrum" wohl zum Imam Khomeini Platz fahren, dem Stadtzentrum der quajarischen Zeit. Wirtschaftlich - mit dem Bazar - und politisch - mit dem Regieregierungsviertel - sind in dieser Gegend wichtige Funktionen angesiedelt. Nach Norden schließt ein "modernes" Zentrum mit Dienstleistungsangeboten und gehobenem Einzelhandel an. Ausgeprägte Nebenzentren gibt es nicht. Die Stadtstruktur Teherans entwickelt sich aber auch nicht konzentrisch von der Mitte aus, mit nach außen abnehmender Dichte und Attraktivität. Eher hat man sich Streifen in West-Ost- Richtung vorzustellen, wobei von Norden nach Süden die Gebäude niedriger und älter und die Bewohner ärmer werden.
Dieses prägende Element der Stadt, das Nord- Süd-Gefälle, werden wir vom Bahnhof im Süden Richtung Norden erkunden. Als Orientierungslinie dient uns die Valy-Asr Allee. Sie erstreckt sich vom Bahnhof bis zum Tajrish Platz ganz im Norden und ist mit einer Länge von ca. 17,5 Kilometern die längste durchgehende Straße der Stadt, außerdem die lebendigste und prominenteste, gewissermaßen die Avenue des Champs d'Elysées von Teheran. Beiderseits wachsen mächtige Platanen, die Schatten und Sauerstoff spenden.
Die Bahngleise führen von Westen in die Stadt hinein und biegen am Bahnhof nach Süden ab. Einmal die Woche verkehrt von hier ein Zug bis nach Istanbul,
Fahrtzeit drei Tage. Das Interieur des Bahnhofgebäudes, besonders die VIP-Lounge, ein im Stil des frühen 20. Jahrhunderts üppig eingerichteter Saal, will so gar nicht zu der nüchternen "germanischen" Fassade von 1936 passen. Am Bahnhofsvorplatz beginnt die Valy-Asr Allee. Zunächst laufen wir etwa 800 Meter in nördlicher Richtung, bis wir zur Kreuzung mit der Molawi Straße kommen. Von hier führt uns ein kurzer Abstecher nach Westen zum Razi Platz. Am Rande des großen, seit Beginn der neunziger Jahre angelegten Park-e Razi stehen die Reste der alten Bebauung - nicht alle Eigentümer waren verkaufswillig.
Viele Maßnahmen zur Verbesserung der verkehrlichen Infrastruktur und auch viele neue Parks verdank erdanken en die Teheraner ihrem charismatischen Bürgermeister Karbastschi, der in Deutschland als Architekt ausgebildet wurde.Von 1989 bis 1998 realisierte er zahlreiche Projekte zur Verbesserung des öffentlichen Raums der Stadt, bevor er bei der Zentralregierung in Ungnade fiel.
Die Molawi Straße bildet östlich der Valy-Asr Allee die südliche Grenze des Bazarbereichs. Man fühlt sich hier wie in einer ganz anderen Welt, die mit der Hochglanzarchitektur und den eleganten Großstädtern im Norden kaum etwas gemein hat. In den Werkstätten und Läden im Süden der Stadt wird der Wohlstand vieler Menschen erwirtschaftet, die im Norden wohnen. Zudem werden auf der Molawi Straße - einem ausgedehnten Güterverteilzentrum gleich - nahezu alle in die Stadt ein- und ausgeführten Waren umgeschlagen. Nicht nur aus diesem Grund herrscht hier, wie im Übrigen in ganz Teheran, ein unbarmherziger Verkehr, der jede Straßenüberquerung zum Risiko macht. Ansonsten sind bedrohliche Situationen in Teheran ausgesprochen selten.
Die Bevölkerung gibt auf "ihre" Touristen Acht, selten wird gebettelt, gelegentlich wollen alte Frauen aus der Hand lesen und Kinder Kaugummi verkaufen.
Der 200 Hektar große Bazar ist ein mit Ziegelkuppeln oder Wellblech überdachtes Straßengewirr. Die einzelnen Warenangebote sind säuberlich nach Produkten getrennt. Von Haushaltsartikeln über Wasserpfeifen bis hin zu Nüssen, Gewürzen und natürlich Teppichen und Stoffen findet der geduldige Sucher alles. Gegenstände des täglichen Bedarfs werden vorwiegend Teheraner Zwischenhändler und Einkäufer aus dem Umland abgegeben. Innerhalb dieser Bazarstruktur versteckt sind immer wieder kontemplative Innenhöfe mit Wasserbecken, die Ruhe ausstrahlen und Kühle spenden und wo Männer ihr Gebet verrichten. Zur Mittagspause, ungefähr von on 13 bis 16 Uhr, ist der Bazar weitgehend verwaist.
Östlich des Bazars, im Mahallee Sirus, dem ältesten Stadtviertel Teherans, fühlt man sich dann vollständig in die Vergangenheit zurück versetzt. Die zumeist eingeschossig- Lehmhäuser lassen nur enge Gassen frei, in denen man sich vor Mopedfahrern mit einem schnellen Sprung in Sicherheit bringen muss und Autos nur auf kunstvolle Weise manövrieren können. Die Bauten verfallen In winzigen Werkstätten dengeln alte Männer Samoware wieder zurecht. Fast alle Frauen sind, in Kontrast zum mondänen nördlichen Teheran, heran, traditionell in schwarzen Tschador gekleidet.
Bei den "Abmive-Giri", den "Fruchtsaftpressen", werden aus frischen Karotten, Melonen, Orangen, Maulbeeren
oder süßen Limonen wohlschmeckende, dickflüssige Säfte gewonnen.
Unter Jugendlichen gilt es indes als schicker, aus der Dose das zuckersüße Fruchtgetränk Rani oder Zamzam, die iranische Coca- Cola, zu trinken.
Auf dem Weg nach Norden, parallel zur Valy- Asr Allee, kommen wir im Bereich der Zitadelle aus dem 18. Jahrhundert am heutigen Regierungsviertel mit dem Museum des Golestan Palastes und dem Shams-ol Emare vorbei. Letzteres wird als erstes Hochhaus der Stadt auf 1867 datiert, es hat Ziegelmauern von bis zu fünf Metern Dicke. Das weitläufige grüne Viertel beherbergt unter anderem den Präsidentenpalast und ist auch sonst architektonisch sehenswürdig.
Danach gelangen wir zum Imam Khomeini Platz, einer riesigen, weitgehend dem Verkehr und einem Busbahnhof gewidmeten Fläche. Man wünscht sich jenes ehemalige quajarische Stadtzentrum mit elegant elegantem Wasserbecken und prächtigen Gebäuden zurück, das damals Kanonen Kanonenplatz platz hieß. Auch heute noch bezeichnet man die Gegend als Stadtzentrum, da der Bazar, das Regierungsviertel, wichtige Botschaften und Ministerien und der Kreuzungs- Kreuzungspunkt der Metrolinien sich in der Nähe befinden. Charme strahlt der Platz aber nicht aus. Statt des klassizistischen Post- und Telegrafenamtes begrenzt heute eine 15-geschossige Hochhausscheibe den Platz im Süden. Auch das ehemalige Rathaus ist verschwunden, einzig die Bazargani Bank auf der östlichen Platzseite ist noch erhalten. Ihr diagonal gegenüber findet man die unprätentiöse,
nur an dem gelben leuchtenden Würfel zu erkennende Metrostation Imam Khomeini.
In unmittelbarer Umgebung des Imam- Khomeini Platzes liegen zahlreiche Museen. Das Glas- und Keramik-Museum, -ein Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert, wurde 1978 von Hans Hollein umgebaut. Das iranische Nationalmuseum, auch Iran Bastan genannt, befindet sich in einem großzügigen Gebäude aus dem Jahr 1937 von André Godard. Es werden aber enttäuschend wenig Exponate der persischen Antike ausgestellt, in Relation zur langen Geschichte Persiens kann man sich den geringen Umfang nur mit undurchsichtigen Verlusten an Museen im Ausland und regem Sc Schwarzhandel erklären.
Der soeben dezent neu gestaltete Maschgh Platz, der ehemalige Exerzierplatz, wird eingefasst vom Außenministerium, einem quajarischen Tor und Kasernen so sowie wie von on dem imposanten ehemaligen Gebäude der Polizei im neo- achämenidischen Stil der dreißiger Jahre. Das letztgenannte Gebäude wird derzeit renoviert und soll in Zukunft dem Außenministerium für repräsentativ Zwecke dienen. Ein deutscher Außenminister könnte demnächst einen Treppenaufgang hinaufsteigen, welcher der Anlage von Persepolis entlehnt ist.
Auf dem Weg zurück zur Valy-Asr Allee, circa 2,5 Kilometer auf der Imam Khomeini Straße nach Westen, verleitet uns am Hassan- Abad Platz mit seinen neoklassizistischen Fassaden die Hafez Straße zu einem Exkurs in die literarische Vergangenheit, denn Hafez (ca.1320-1390) ist der iranische Nationaldichter schlechthin. Seine Gedichte, versammelt im "Diwan", werden noch heute von allen Schichten und Altersstufen auswendig zitiert und als Orakel für jede Lebenslage befragt - mehr als 600 Jahre nach seinem Tod. Die Doppeldeutigkeit aus Liebes- und Weindurst bzw. mystischer Wahrheitssuche hatte Goethe so beeindruckt, dass er 1819 seinen berühmten Gedichtzyklus "West- Östlicher Diwan" schrieb.
Weiter Richtung Norden auf der Valy-Asr Allee. Am Stadttheater erreichen wir die Enquelab Straße,
den Kreuzungspunkt der Nord-Süd- und der West-Ost-Achse der Stadt. Auf der Enquelab Straße verlief ehemals die zweite nördliche Stadtmauer , welche 1923 von Reza Schah Pahlavi niedergelegt wurde.
Etwas weiter auf Höhe des Valy-Asr Platzes machen wir auf unserem Weg nach Norden einen Abstecher zum Boulevar-e Keshavars, zum Bauernboulevard, der früher Boulevard - Elisabeth hieß und wo in den sechziger Jahren das Hochhaus des Ministeriums für Landwirtschaft sowie die "Saman Türme", die ersten Wohnhochhäuser der Moderne entstanden. In der Mitte des Boulevards,zwischen den Fahrbahnen, fließt Wasser in einem offenen Kanal, die Fußweg werden von gepflegten Grünflächen begleitet und von on Bäumen beschatt.
Drei Hochhäuser bilden die südöstliche Kante des ausgedehnten Park-e Laleh, des Tulpenparks. Wir sehen Pärchen auf Parkbänken, manchmal korrekt auf Abstand, oft aber recht innig im Gespräch. In den Abendstunden nutzen die Anwohner den Park intensiv für Pick- knick, Volleyballspiel, Inline-Skaten oder Flanieren. Auf einer großen Inline-Fläche zeigen Jungs und vor allem Mädchen, begleitet von sehr lauter Popmusik, wirkliches Können. Allein schon diese Musik wäre in einer anderen Stadt des Iran undenkbar, denn "westliche" und dazu auch noch laute Musik ist offiziell verboten.
Die beiden Museen am westlichen Parkrand, das Museum für Moderne Kunst von Kamran Diba und das Teppich-Museum, beide aus den siebziger Jahren, sind architektonisch ebenso sehenswert wie ihre Sammlungen.
Auf der Valy-Asr Allee etwa drei Kilometer nach Norden zum Vanak Platz. Abbas Abad, ein hochwertiges und teures Büroviertel, in dem alle wichtigen Firmen mit ihrem Hauptsitz vertreten sind, lassen wir rechts liegen. Das ehemalige Dorf Vanak das heutige Vanak Viertel, hat seine verwinkelte Struktur beibehalten. Es wird wegen seines Klimas als Wohnlage geschätzt, da noch relativ viele der ursprünglichen Grünflächen erhalten geblieben sind. Letzthin wurden in Teheran viele Parkanlagen im Süden geschaffen, gleichzeitig aber wurde die aufgelockerte Bebauung im Norden mit ihren großen Gärten stark verdichtet.
Östlich vom Park-e -Mellat, einem attraktiven Volkspark, erstreckt sich Richtung Osten eine schicke Wohngegend. Im Jaâm-e-Jam Food- court, in dem an kleinen Tresen, wie in einer amerikanischen Food-Mall, sündhaft teures ausländisches Essen angeboten wird, ist fotografieren verboten. Das dürfte vor allem daran liegen, dass hier top-modisch gekleidete junge Damen (und einige Herren) bei Cappuccino und Zigarette ihren Nachmittag mit Müßiggang verbringen. Solch ein top-modisches Outfit - Hose verkürzt bis zur Wadenmitte, Riemchensandalen, die obligatorischen Mäntelchen, knallbunt und eng anliegend, das Kopftuch am Haaransatz und im Nacken sehr knapp - sieht man in Teheran zwar auch andernorts, aber nirgendwo so konzentriert wie hier. Übrigens liegen die Bodenpreise um den Vanak Platz bei 1500-2000 Euro pro Quadratmeter.
Nördlich des Geländes des staatlichen Fernseh- und Radiosenders verlassen lassen wir die Valy-Asr und fahren auf der Chamran Stadtautobahn am Internationalen Kongresszentrum vorbei, das für die Konferenz der islamischen Staaten (dem G8-Gipfel vergleichbar) in nur sechs Monaten Bauzeit nach einem Entwurf des Architekten Yahya Fiuzi errichtet wurde.
Südlich der Stadtautobahn befindet sich - noch - die Internationale Messe, die gegebenenfalls nach Norden verlagert werden soll. Wir nutzen die Gelegenheit und besuchen die Teheraner Buchmesse 2005. Deutschland ist mit einem etwa 30 Quadratmeter großen Stand vertreten - Schwerpunktthema Fußball. An der Einmündung der Evin Straße ragt das Hotel Azadi auf, ebenfalls ein architektonisches Großprojekt des Schah, um ausländische Gäste ins Land zu locken, und südlich davon zwei Wohnanlagen, die von der halbstaatlichen Gesellschaft "Atisaz" gebaut wurden. 1974 wurden die von schwedischen Architekten geplanten dreieckigen Hochhausscheiben mit ausgetüftelten Grundrissen und hohem Wohnkomfort begonnen, gerade in der Phase
der Fertigstellung sechs strenge weiße Türme.
Wir fahren nach Norden und an der Shahid Beheschti Universität vorbei, wo neben Medizin auch Architektur und Stadtplanung untererrichtet wird. Westlich blicken wir auf die riesig Anlage des Evin-Gefängnisses, welches wegen der vielen inhaftierten Journalisten und Oppositionellen als das intellektuelle Zentrum des Iran bezeichnet wird. Entlang des Flusses Darakeh, einer der sieben das Stadtgebiet gliedernden Wasserläufe, langen wir auf etwa 1800 Meter Höhe zu einem der Naherholungsgebiete Teherans. Weiter östlich fahren wir von Velenjak mit der Seilbahn noch weiter hinauf in die Berge. Bereits beim ersten Halt haben wir einen phantastischen Blick über die gesamte Stadt. Beim Abstieg zum Tajrisch Platz stoßen wir wieder auf die Valy-Asr Allee, die hier ihren nördlichen Endpunkt hat.
Von Westen nach Osten
Neben der prägenden Nord-Süd-Achse der Valy-Asr Allee mit ihrem topografisch wie gesellschaftlich unterschiedlichen Charakter gibt es eine West-Ost- Achse, an der wichtige Funktionen des modernen Teheran liegen. Sie markiert für die Teheraner die Grenze zwischen Nord- und Süd- Teheran und nimmt ihren Ausgang am Meydane Azadi, dem Platz der Freiheit. Er bildet mit seinem Freiheits-Monument sozusagen das Eingangstor zur Stadt, wenn man vom westlich gelegenen, alten Flughafen Mehrabad darauf zufährt. Dieses Wahrzeichen wird elliptisch von 5000 Quadratmetern Grünfläche und zwei breiten Straßenringen eingefasst. Der 50 Meter hohe, skulpturale weiße Turm in einer Mischung aus antik sassanidischer und moderner Formensprache ist bekleide mit 20.000 Stein einplatten in fast eben so vielen Zuschnitten. Nachts ist er nur spartanisch beleuchtet - 1971 unter dem Schah erbaut, bedeutet er den Machthabern der Islamischen Republik offensichtlich wenig, denn auch das unterirdische Museum, das große Auditorium im Innern und die Aussichtsplattform sind geschlossen. Das Bauwerk, entworfen von on Hossein Amanat, soll die 2500-jährige Geschichte des Persischen Reiches und die Größe und die Schönheit des Landes symbolisieren.
Der Freiheitsplatz bildet den Auftakt zu der zehn Kilometer langen West-Ost-Achse des zunächst zehnspurigen Azadi Boulevards mit getrennten Fahrbahnen für Langsam- und Schnellfahrer und später der Enquelab Straße (Straße der Revolution).
Aufgereiht entlang dieser Achse befinden sich vier Universitäten, viele Kinos, Parks, der Platz der Revolution und der Ferdosi Platz. Auf dem Azadi Boulevard passieren wir zunächst die Sharif Universität, die beste Technische Hochschule des Landes mit 8000 Studenten. Wir kreuzen die Navab Schnellstraße und gelangen zum Enquelab Platz, der nicht zuletzt wegen seiner vier Kinos der beliebte Treffpunkt der Studenten der Teheran Universität ist. Dort studieren 32.000 junge Menschen, davon sind mehr als 50 Prozent Frauen. Kleine spezialisierte und bis unters Dach vollgestopfte Buchläden bieten den Studenten ein schier unerschöpfliches Angebot. Ab hier heißt unser unsere Achse Enquelab Straße, etwas weiter östlich findet sich das ehemalige Diana-Kino, jetzt Sepide genannt. Erbaut wurde es in den dreißiger Jahren nach einem Entwurf des Architekten Vartan Havanessian, der in Paris studiert und bei Henry Sauvage gearbeitet hat.
Der Bereich der Kreuzung mit der Nord-Süd-Achse Valy-Asr Allee bildet einen wichtigen kulturellen Schwerpunkt der Stadt. Hier liegen die Freie Universität Teheran, das Elitegymnasium Alborz, erbaut von Nikolai Markow, die Technische Universität Amir Kabir mit 6400 Studenten, das Teheraner Opernhaus Talare- Rudaki von 1977 und der Park-e Daneshju - der "Studenten Park" mit dem Stadttheater. Insbesondere des Nachts sind die schlanken Betonsäulen des Stadttheaters, die sich am vorgewölbten Dach ineinander verschränken, schön anzuschauen, ein optischer Genuss in Sachen zeitgenössischer Architektur, der in Teheran, zugegebenermaßen, selten ist. Häufig finden hier auch Freiluft-Aufführungen statt, bei denen kleine Schauspielgruppen Alltagssituationen karikieren und sich Trauben von Schaulustigen bilden.
Weiter auf der Enquelab Straße erreichen wir den Ferdowsi Platz, der von stattlichen Gebäuden im Stil der Moderne umstanden ist. Der Platz selbst wird, wie eigentlich alle Plätze der Stadt, vom Verkehr dominiert. Im Inneren des Verkehrsstroms liegt ein Wasserbecken mit der Statue des Dichters Ferdowsi (940-1020), der als Retter der persischen Sprache, des Farsi, verehrt wird. Die arabische Schrift wurde nach der Eroberung des Perserreiches im Jahre 642 zwar übernommen, die arabische Sprache jedoch nicht, anders als in Ägypten. Ferdowsi schrieb 35 Jahre lang an den 50.000 persischen Versen des Königsbuches "Schahname", das oft mit dem Gilgamesch-Epos verglichen wird. Es ist zugleich Geschichtsbuch und Inkunabel des Persischen.
Bei einem Schlenker nach Süden kann man das riesige Gelände der Englischen Botschaft abgehen - es sind ungefähr zwei Hektar -, das flächenmäßig bei weitem von der russischen Botschaft überboten wird. An der Kreuzung Ferdowsi und Jomhuri Straße finde die schlichte Form des Geldhandels statt, mit Dollarverkäufern und Wechselstuben. Hier werden aber auch Antiquitäten, Münzen und Briefmarken gehandelt. Dominiert wird die Kreuzung vom ersten kommerziellen Hochhaus der Stadt, dem "Plasko", in dessen Einkaufspassage seit den sechziger Jahren schicke Klamotten verkauft werden.
Auf der Südseite liegen die Deutsche und die Türkische Botschaft friedlich nebeneinander. Als Deutscher schmunzelt man vielleicht angesichts der Kutsche- Berlan (der Berlin-Gasse),
was deren Wichtigkeit als Einkaufsgasse aber nicht schmälert. Hier zeugen auch die Bank-e Melli und die Bank-e Markazi von der Baukultur der dreißiger Jahre. Ein paar Blocks weiter Richtung Osten auf der Jomhuri Straße stoßen wir auf die Metro-Station Saadi. Mit der Metrolinie 1 könnten wir nun nach Norden ca. 6,5 Kilometer bis zur derzeitigen Endstation - Mirdamad fahren oder gen Süden Richtung Bazar und Bahnhof. Die Gestaltung der Metro-Stationen ist von unterschiedlicher Qualität. Manchmal sind die Eingänge plumpe postmoderne Konstrukte, manchmal filigrane Stahl-Glas-Dächer, die nachts einfach zugeklappt werden. Unterirdisch wirken die Stationen meist recht kühl und sind immer sehr sauber. Weiter östlich,
am Baharestan Platz, liegt das älteste und derzeit dritte Parlamentsgebäude. In dem Gebäude aus quajarischer Zeit nahm die erste Volksvertretung 1906 ihre Arbeit auf, nun ist es Parlamentsbibliothek. Seit 2004 sind die 299 Abgeordneten in einem pyramidenförmigen Gebäude untergebracht, das inmitten einer Wasserfläche Reminiszenzen an die Bibliothek von Alexandria weckt. Gebaut wurde der Komplex von mehreren iranischen Architekten, die Außenanlagen von Hadi Mirmiran, die Fassadengestaltung von Behrooz Ahmadi und das Gebäude selbst von Polmir Architekten. Vom Dach der angrenzenden Moschee Sepah Salar hat man einen ausgezeichneten Blick auf dieses Ensemble wie auch auf die im Norden aufs aufsteigenden kargen Flanken des Alborz- Gebirges.
Nach 1,5 Kilometern Taxifahrt sind wir wieder auf der Enquelab Straße und dann mit dem Imam Hussein Platz am Ende der West-Ost-Achse angelangt. Der Platz hat durch seine zweigeschossige homogene Ziegelarchitektur eine einheitliche und ruhige Wirkung. Wir fahren nun in einem großen Bogen nördlich des Zentrums herum wieder Richtung Westen zurück: Nach fünf Kilometern passieren wir das Narmak Viertel, genauer gesagt das Quartier Chaharsad Dastgah, Teherans ersten sozialen Wohnungsbau. In den sechziger Jahren wurden hier 400 Wohnhäuser aufs schmalen Parzellen errichtet, angeordnet in charakteristischen kleinen Blöcken mit je einem Quartiersplatz.
Von der Stadtautobahn Resalat sehen wir den Rohbau der neuen Freitagsmoschee, eine riesige Anlage für vier- bis fünfhunderttausend Gläubige. Nördlich dieser Baustelle wird derzeit auf dem Abbas Abad Hügel ein riesen-großer Kulturpark angelegt, die darin gelegene Nationalbibliothek ist vor wenigen Monaten eröffnet worden. Entlang der den Park queren- den Stadtautobahn Modarres hat man einen wunderbaren Blick hinauf und hinunter in die Stadt. Die Modarres ist ein Beispiel dafür, wie man durch das Zusammenspiel von Landschaftsplanung, Gartenkunst und Verkehrsarchitektur, wenn man sie denn einmal so zusammendenkt,
auch schöne Autobahnen schaffen kann.
Weiter nach Westen. Nördlich der Stadtautobahn, zwischen den Flüsschen Darakeh und Punak, liegt das Viertel Sharak-e -Gharb, eine Ansiedlung der siebziger Jahre mit hohem Einkommensniveau, vielgeschossigen Wohntürmen und Shopping-Malls. Hier gibt es derzeit Pläne für ein "Ati-Center", einen multifunktionalen Gebäudekomplex, dem der Potsdamer Platz in Berlin Pate stehen soll. Gegenüber auf der Südseite wird seit zehn Jahren der Milad-Turm gebaut, der zukünftige Fernsehturm der Stadt mit Restaurant und Aussichtsplattform in 315 bzw. 437 Metern Höhe, welcher noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll. Daran anschließend liegt der Park-e Pardisan, den der Schah als größten Park Asiens mit Nachbildungen der fünf Klimazonen der Erde ausbauen wollte. Die Anlage existiert erst seit einigen Jahren, derzeit nur mit einigen Wildtier-Gehegen und savannenartigem Bewuchs, aber in der ursprünglich geplanten Größe.
Weiter im Westen können wir exemplarisch Siba Shar und Shahran als Wohngegenden der gehobenen Mittelklasse besichtigen, die ab den achtziger Jahren entstanden sind. Es sind zumeist drei- bis viergeschossig Mehrfamilienhäuser, mit hellem Stein ein verkleidet und zugänglich über einen introvertierten Hof.
Wir wollen zurück zum Ausgangspunkt der Ost-West-Achse, zum Platz der Freiheit, wenden uns nach Süden und fahren am Azadi Stadion vorbei. Wer er im Herbst 2004 das Fußballspiel Deutschland-Iran im Fernsehen verfolgt hat, konnte sich von den über 100.000 - auch für die deutsche Mannschaft - begeisterten männlichen Fans beeindrucken lassen. Die riesige Sportanlage wurde anlässlich der Asiatischen Olympischen Spiele 1974 von Abdolaziz Farmanfarmaian gebaut. Ab hier erstrecken sich unterhalb der Autobahn Teheran-Karaj riesige Industriegebiete. Iranchodro, der nationale Autoproduzent, baut dort rund 450.000 Fahrzeug im Jahr. Wir fahren weiter Richtung Osten, Richtung Mehrabad Airport. Vor uns liegt das beeindruckende Wohnbauprojekt "Ekbatan". Es wurzelt in den siebziger Jahren, derzeit wird sein letzter Bauabschnitt fertig gestellt. Die bis zu zwölfgeschossigen Scheiben sind durch strenge Fenster- und Brüstungsbänder gegliedert, skulptural faszinierend und gleichzeitig bedrohlich. Durch die Frontscheibe des Taxis rückt das Freiheitsdenkmal am Meydane Azadi Platz wieder ins Blickfeld.